Vorreiter: In der veganen Suite des »Hilton Bankside« (London) nutzt man Leder aus Ananasfasern.
© Hilton Bankside
Vegane Nächte: So geht tierfreies Interior Design
Und es geht weiter! Gerichte ohne tierische Zutaten sind mittlerweile Standard. Aus dem englischsprachigen Raum kommt jetzt aber eine Zuspitzung des Themas: die des veganen Interior Designs. Große Hotelbrands sind schon auf den Geschmack gekommen.
von Nicola Afchar-Negad
03. August 2022
Egal wie kuschelig sie auch sein mögen, Decken aus echtem Fell sieht man eigentlich nirgends mehr, nicht mal im exklusivsten Chalet in den Alpen. Der Konsument – und Hotelgast – hat verstanden, dass die Produktion mit großem Tierleid verknüpft ist und lehnt eben dies ab. Was aber ist mit Wolle, Leder, Seide? Sie gelten als Naturprodukte und genießen ein gutes Image. Sie werden als wertiger angesehen als Kunstfasern. Aber ist das gerechtfertigt? Man muss die Frage nicht einmal zwangsläufig für sich selbst beantworten, aber bedenken: für einen vegan lebenden Menschen kommen tierische Produkte generell nicht in Frage. Auch nicht in der Einrichtung. Dieser Klientel ein veganes Hotelzimmer zu offerieren, kann ein Wettbewerbsvorteil sein, ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Zumindest noch. Das »Hilton Bankside« in London oder das »Emirates Palace« der Oriental Hotel Group in Abu Dhabi haben erkannt, in welche Richtung es geht und komplett vegane Suiten eingerichtet. In London hat man noch dazu perfektes Storytelling betrieben und die Suite dem Thema Ananas gewidmet. Warum? Weil das Hotel in einer Gegend steht, die als erste Anbauregion im Königreich gilt – richtig: für Ananas.
»Die meisten Menschen sind sich dessen nicht bewusst, dass Wolle oder Seide mit Tierquälerei zu tun haben.«
Aline Dürr, Interior-Designerin
Und was viele ebenfalls nicht wissen: Ananas-Blätter sind eines der Materialien, auf die man bei veganem Leder setzt. Pilz-Leder ist ein weiteres Beispiel. Das Problem: diese Fasern sind noch nicht im Mainstream angekommen. Und sie werden, wenn denn, derzeit noch eher für Kleidung und Accessoires – wie Handtaschen oder Schuhe – verarbeitet. Selbst Interior Designerin Aline Dürr (Vegan Interior Design) hat hier noch so ihre Probleme mit dem Material. »Wir sind noch in einer frühen Phase des veganen Designs und die meisten Leder-Alternativen haben den Test der Zeit noch nicht bestehen können«, so die Wahl-Australierin. »Kaktus- und Mango-Leder sind für mich vielversprechend.« Dürr, die auch internationale Projekte umsetzt, hat ein Handbuch zum Thema verfasst. »Vegan Interior Design« geht auf die Chancen und Problematiken des Themas ein und liefert Entscheidungshilfen – gerade auch wenn es um alternative Materialien geht. Sehr eindringlich auch die Illustrationen, die ganz klar zeigen, wie viele Schafe etwa für einen Wollteppich geschoren werden müssen. »Die meisten Menschen sind sich dessen nicht bewusst, dass Wolle oder Seide mit Tierquälerei zu tun haben«, so Dürr. »Wir sollen das nicht wissen«, ergänzt sie abgeklärt und spricht von »unschuldiger Ignoranz«. Schafe werden genetisch manipuliert, um den Wollwuchs anzufeuern, Wunden und Krankheiten der Tiere werden nicht behandelt und das Scheren an sich passiert nur allzu oft äußerst brutal. Und Seidenraupen – die werden bei lebendigem Leibe verbrüht. »Wolle und Leder werden zudem oft als Nebenbei-Produkt gehandelt, dadurch erscheint es den Menschen eher akzeptabel.«
Im englischsprachigen Raum kursiert nicht nur der Begriff »vegan«, sondern auch »cruelty-free« übersetzt also »frei von Grausamkeit«. Sprich: Keine Tierversuche.
Dürr erklärt ihre Sichtweise: »Ich sehe nicht die Schönheit eines Produktes aus Leder, ich sehe nur die Haut eines toten Tieres.« Im englischsprachigen Raum kursiert nicht nur der Begriff »vegan«, sondern auch »cruelty-free«, frei übersetzt also »frei von Grausamkeit«. Letzteres bedeutet, dass ein Produkt – und all seine Bestandteile – nicht an Tieren getestet werden. Vegan bedeutet daher immer auch »cruelty-free«, umgekehrt muss es nicht zutreffen. Laut Dürr einen Schritt in die einzige richtige Richtung. Dürr zeigt sich aber realistisch. Tierprodukte zu 100 Prozent zu vermeiden, sei in der »nicht-veganen Welt, in der wir leben, unmöglich.«
Farbe als Anhaltspunkt
Die Top-5-Materialien, die es zu vermeiden gilt: Wolle, Seide, Leder, Federn und natürlich Pelz. »Ein weiterer wichtiger Punkt ist Farbe«, überrascht Dürr. Handelsübliche Wandfarben können in Deutschland – ohne jegliche Deklaration! – unter anderem folgende tierische Stoffe enthalten: Kot von Schildläusen, Ochsengalle, Tierkohle oder Farbpigmente aus Läuseblut. Will man das wirklich? Die gute Nachricht: Hersteller veganer Wandfarben zu finden, ist nicht sonderlich schwer. Um eine große Marke zu nennen: Farrow & Ball. Eine kleinere: Mynt aus Deutschland. Diese Namen hat man zügig recherchiert, ansonsten dauert es aber leider, entsprechende Hersteller zu finden. »Man muss da wirklich die Firmen anrufen und nachfragen.« Eine von Dürrs Lieblings-Marken ist Vossen. Auch hier fragt man sich im ersten Moment: Was soll an einem Handtuch denn bitte nicht vegan sein? Na, zum Beispiel Kleb- und Farbstoffe, deren Rohstoffe vielfach aus tierischen Fetten gewonnen werden. Und jetzt einfach kurz dran denken, dass sich die Gäste damit zumeist zwei Mal täglich das Gesicht abtrocknen. Und daran, dass man mit veganen Handtüchern genau darum beim Gast punkten könnte.
Handelsübliche Wandfarben können in Deutschland folgende tierische Stoffe enthalten: Kot von Schildläusen, Ochsengalle, Tierkohle oder Farbpigmente aus Läuseblut.
Lieber regional als vegan
Fast ein bisschen ketzerisch wirkt die Frage nach Plastik. Eindeutig ein veganer Rohstoff, seit einigen Jahren gerne für Upcycling-Prozesse verwendet. Insbesondere im Fashion-Bereich, aber auch im Interieur-Bereich. »Ein brandaktuelles Thema«, findet auch Dürr, und sie tut sich sichtlich schwer hier Pro und Contra abzuwägen. »Plastik ist nicht gut für unsere Umwelt. Die Produktion benötigt aber kein Land, um Nutztiere anzusiedeln und es wird weder gebleicht noch gegerbt. Objektiv gesehen ist Plastik also nicht ganz so böse wie tierische Produkte.« Trotzdem natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss. In Österreich, Deutschland und der Schweiz ist Regionalität seit einigen Jahren vermutlich der Trend schlechthin. Und die damit verbundene Nachhaltigkeit. Beispiel Wolle: die kann zwar in Österreich regional hergestellt worden sein, wäre aber nach den vorhin erwähnten Standards Tierquälerei. Das heißt: hier schlagen sich zwei Ansätze.
»Viele Kunden legen großen Wert auf Ökobilanz und regionale Lieferanten – die Nachfrage bezüglich vegan ist bislang aber gleich null.«
Bernhard Hiehs, Geschäftsführer Derenko
Die Regionalität hat hierzulande aber definitiv mehr Gewicht, wie Bernhard Hiehs vom Design- und Projektmanagement-Büro Derenko bestätigt. Stattdessen gehe es um die »Ökobilanz, gerade im Hospitality-Bereich wird das immer wichtiger. Ebenso die bewusste Wahl von natürlichen Materialien. Kunden hinterfragen häufig die Herkunft von Produkten und Materialien.« Leder sei nach wie vor sehr gefragt, beobachtet Hiehs. Hier scheint es also aktuell keinen ethischen Konflikt zu geben. »Aktives Marketing« für vegane Produkte habe noch keiner der Derenko-Lieferanten oder -Hersteller betrieben. Das sagt natürlich einiges aus. Was sich Hiehs jedoch vorstellen kann, sind Themen-Suiten wie die eingangs erwähnte Ananas-Suite im Londoner »Hilton«-Hotel. »Dies könnte natürlich ein Zukunftstrend sein. Wir konnten es stark beim veganen Speisenangebot in der Hospitality Branche erleben. Noch vor zehn Jahren war es eine Seltenheit, ein veganes Gericht in einem Restaurant in Österreich zu bekommen. Mittlerweile bietet jedes gute Restaurant zumindest eine vegane Speise an.« Der Hotel- und Gastro-Profi glaubt, es brauche noch eine »aktiv gesteuerte Weiterentwicklung an Materialien.« Die aktuell gefeierten Leder-Alternativen sieht Hiehs skeptisch, insbesondere aufgrund der Anforderungen der Branche. Dürr am anderen Ende der Welt ist überzeugt, dass es »nur eine Frage der Zeit« ist, bis die entsprechenden Produkte in großer Zahl zu kaufen sein werden. Die Verfügbarkeit »wird sich mit der Zeit ändern. Sie ändert sich bereits.«
Alternativen zu…
Wolle:
- Tencel
- Sojabohnen-Fasern
- Organic Cotton (nur GOTS-zertifiziert)
- Bambus
- Woocoa und Nullarbor (beide arbeiten mit Kokosnuss-Fasern)
- Hanf
- Bananenfasern
Federn:
- Natürliches (nicht synthetisches) Latex
- Organic Cotton
- (Hypoallergen, GOTS-zertifiziert) Buchweizen-Schale
- Kapok
Eine gute Info-Quelle zu veganen Produkten ist auch die Webseite www.veganinteriordesign.com
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